
Kennen Sie das: Sie lesen einen (Fach-)Text – und könnten hinterher nicht sagen, was drinstand? Unschön, oder? Wenn Sie selbst einen Text veröffentlichen, sollten Sie diesen Effekt natürlich unbedingt vermeiden. Was nützt Ihnen ein Leser, den Sie gar nicht erreichen, weil er vorher mental aussteigt?
Schauen wir uns also an, wie Sie Fachtexte und andere inhaltlich dichte Texte am besten überarbeiten – auf dass der Leser sie mit Freude und Gewinn liest. Insbesondere denke ich dabei an Marketing-Angestellte, die mit den eher trockenen Textentwürfen der Fachabteilungen umgehen müssen. Auch wenn Sie selbst zu komplizierten Sätzen neigen, werden Ihnen die Tipps helfen.
Autor X und seine Innensicht
Nehmen wir mal einen fiktiven Redakteur an, Autor X. Autor X verfügt über eine bestimmte Menge an Informationen, die er Satz für Satz aneinanderreiht. Ihm fällt gar nicht auf, dass sein Text schwer verständlich ist, denn er ist ja drin im Thema, er versteht alles. Das ist die berühmte Innensicht. Autor X vergisst dabei, dass er den Text nicht für sich schreibt – sondern für wen? Richtig, für einen Leser, eine Leserin.
Sie haben nun also den Text von Autor X vorliegen. Entweder ist Autor X ein Kollege oder Kunde oder Sie selbst haben den Text geschrieben. Fest steht, dass Sie den Text überarbeiten wollen.
Was ist also zu tun? Das will ich anhand von drei Schritten skizzieren:
- Schritt 1: Leserinteresse und Ziel definieren
- Schritt 2: Kernaussagen festlegen
- Schritt 3: Satzbau und Stil verbessern
Schritt 1: Leserinteresse und Ziel definieren
Vor der konkreten Textarbeit stehen konzeptionelle Überlegungen: Was will ich eigentlich aussagen, was will ich erreichen?
1. Leserinteresse definieren
Autor X sieht, was aus seiner Fachsicht interessant ist. Das muss sich aber überhaupt nicht damit decken, was für Ihre Leserin interessant ist.
Nehmen Sie sich eine Persona vor: Was will meine Leserin lesen, was interessiert sie? (Ich denke mir hier eine Leserin, bei Ihnen kann es natürlich ein Leser sein.)
2. Grundaussage definieren
Als Nächstes fragen Sie sich: Was ist die Grundaussage des Textes? Was wollen Sie damit mitteilen? Zum Beispiel:
- Von einer wichtigen Neuerung in Ihrem Gebiet berichten
- Neue wissenschaftliche Studien vorstellen (was ist die Haupterkenntnis, in einem Satz?)
- Ein Angebot, ein Produkt vorstellen
Die Grundaussage muss klar sein. Wenn Ihr Text zu viel will, schwimmt die Leserin und weiß nicht mehr, wo sie andocken soll.
Ein Beispiel: Sie stellen ein neues Angebot vor und nennen dazu bestimmte wissenschaftliche Erkenntnisse. Es sollte Ihnen klar sein, worum es Ihnen eigentlich geht.
- Geht es eigentlich um das Angebot, werden Sie nur die wissenschaftlichen Erkenntnisse mit aufnehmen, die zum Thema Ihres Angebots passen.
- Geht es eigentlich um die wissenschaftlichen Erkenntnisse, werden Sie sie ausführlicher behandeln und dann sagen: Übrigens, zu Aspekt X haben wir auch ein Angebot.
3. Übergeordnetes Ziel definieren
Neben der Grundaussage gibt es ein dahinterliegendes Ziel. Was wollen Sie mit dem Text erreichen? Zum Beispiel:
- Expertenstatus unterstützen/Imagepflege
- Aufmerksamkeit erzielen
- Bestandskund*innen durch Servicebeiträge binden
- Newletterabonnent*innen gewinnen
- Aufträge generieren
Machen Sie das so genau wie möglich. „Aufmerksamkeit erzielen“ reicht natürlich nicht, sondern Sie sollten sich fragen: Bei wem, auf welchem Weg – und wozu?
Dieses Bewusstmachen bewahrt Sie davor, einfach nur Informationen in einen luftleeren Raum zu stellen. Denn es geht um Kommunikation. Sie wollen etwas kommunizieren, Sie wollen verstanden werden und damit bei der Leserin etwas erreichen.
Schritt 2: Kernaussagen festlegen
Als Nächstes nehmen Sie sich den Text Absatz für Absatz vor.
1. Aussagen herausarbeiten
Um die Relevanz von Aussagen beurteilen zu können, müssen Sie sie überhaupt erst mal identifizieren. Fragen Sie sich daher bei jedem Abschnitt: Was ist hier die Kernaussage? Markieren Sie sie farblich.
2. Kürzen
Kernaussagen, die Ihre Leserin nicht interessieren, streichen Sie.
3. Fokussieren
Fokussieren Sie sich auf die Kernaussage eines Abschnitts und lassen Sie Nebenaspekte weg: etwa Herleitungen, wie es zu einer Aussage kam, oder zusätzliche Beispiele, die nichts zur Sache tun. Das Ganze immer durch die Brille der Leserin.
4. Struktur reinbringen
Mit seinem Input hat Ihnen Autor X eine bestimmte Reihenfolge vorgegeben. Daran sind Sie nicht gebunden. Ist es vielleicht besser, Aspekt A erst ganz zum Schluss zu nennen und Aspekt B vorzuziehen? Die Aussagen sollten am Ende für die Leserin logisch aufeinander aufbauen wie Perlen, die sich auf einer Schnur aufreihen.
Sie haben jetzt also einen Text vorliegen, in dem Sie …
- Kernaussagen unterstrichen haben,
- für die Leserin unwichtige Kernaussagen gestrichen haben,
- Nebenaspekte rausgekürzt haben und
- Abschnitte gegebenenfalls umgestellt haben.
Schritt 3: Satzbau und Stil verbessern
Als dritter Schritt steht die sprachliche Überarbeitung an. Mit welchen Problemen Fachtexte typischerweise zu kämpfen haben und wie Sie sie angehen, erkläre ich Ihnen hier.
1. Passivkonstruktionen
In dem Bemühen, etwas neutral und objektiv auszudrücken, „vergessen“ Fachtexte oft die Menschen hinter einem Sachverhalt.
Passiv: Daraufhin wurde eine Untersuchung angestellt.
Aktiv: Die Forscher untersuchten XY.
Passiv: Dies bedeutet die weitere Übernahme von Stationsmanagement-Aufgaben.
Aktiv: Beschäftigte in der Pflege übernehmen immer mehr Stationsmanagement-Aufgaben.
Am zweiten Beispiel sehen Sie, dass das Passiv nicht immer grammatisch sichtbar sein muss. Schauen Sie daher auch inhaltlich: Ist der Mensch zu sehen?
Manchmal ist es freilich unwichtig oder nicht bekannt, wer handelt.
Passiv: Die Bauarbeiten wurden innerhalb von sechs Monaten abgeschlossen.
Nicht: Die Bauarbeiter schlossen die Arbeiten innerhalb von sechs Monaten ab.
Hier brauchen Sie die Bauarbeiter nicht extra zu erwähnen, weil es eigentlich um das Ergebnis geht, den fertigen Bau.
2. Nominalstil
Ebenfalls in dem Bemühen einer „neutralen“ Ausdrucksweise strotzen Fachtexte gern vor substantivierten Verben. Das macht sie sperrig und schwerfällig. Haben Sie den Mut, aus Substantiven wieder Verben zu machen:
Beispiel: Weitere Projekte sind die Unterstützung unserer Kunden beim Umsetzen neuer Produkte und die Zusammenarbeit mit unseren Audit-Kollegen beim Prüfen der Bilanz der Unternehmen.
Besser: Zum einen unterstützen wir unsere Kunden dabei, neue Produkte umzusetzen. Zum anderen prüfen wir gemeinsam mit unseren Audit-Kollegen die Bilanz der Unternehmen.
Auch hier kommt übrigens der Mensch nach vorne, der vorher nicht sichtbar war („wir“).
3. Bandwurm- und Schachtelsätze
Meine Definition von Bandwurm- und Schachtelsätzen: Ein Bandwurmsatz läuft über mehr als zwei Zeilen, ein Schachtelsatz hat mehr als zwei Kommas. Beides sollten Sie nach Möglichkeit vermeiden. Folgende Strategien schlage ich Ihnen vor:
- Markieren Sie die einzelnen Argumente im Satz. Jedes verdient einen eigenen Satz.
- Beschränken Sie sich möglichst auf einen Nebensatz und bilden Sie zu allen weiteren lieber einen extra Satz.
- Nutzen Sie den Doppelpunkt, um Nebensatz-Konstruktionen oder lange Im-Satz-Aufzählungen aufzulösen.
- Einschübe kann man oft ans Ende stellen, anstatt sie mitten in den Satz zu puzzeln.
- Wenn der Einschub sein muss, sind Gedankenstriche oft übersichtlicher als Kommas.
- Wenn die Textart es erlaubt, können Sie auch Listen nutzen.
Übrigens ist es ein Trugschluss, man könne sich am kürzesten ausdrücken, indem man möglichst viele Argumente in einen Satz packt. Sie werden merken: Wenn Sie aus einem Satz drei machen, wird der Abschnitt gar nicht unbedingt länger.
4. Gestelzte Sprache
Unter gestelzter Sprache verstehe ich Wörter und Wendungen, die man im Mündlichen nicht verwenden würde. Es gibt zum Beispiel keinen Grund, die Relativpronomen „welcher, welche, welches“ zu benutzen. Mündlich würde man „der, die, das“ sagen – sie tun es genauso gut.
Auch das Wort „sowie“ sollten Sie nicht ohne Not verwenden:
Beispiel: Hier erfahren Sie mehr über den Anbieter, die Produkte sowie das Team.
Besser: Hier erfahren Sie mehr über den Anbieter, die Produkte und das Team.
Weitere Beispiele für gestelzte Sprache: obliegen, erörtern, obschon, gleichwohl, nachfolgend, bezugnehmend auf …
5. Fachbegriffe
Warum greift jemand zu Fachbegriffen, obwohl es eine einfachere Entsprechung gäbe? Dafür gibt es zwei mögliche Gründe: Entweder derjenige nimmt die Fachbegriffe gar nicht mehr als exotisch wahr (Innensicht), oder er will mit ihnen den eigenen Expertenstatus untermauern.
Beides berücksichtigt nicht die Leserin. Was will sie? Möglicherweise erwartet sie die schlauen Begriffe, weil sie sich dann als Insiderin fühlen kann. Dann dürfen solche Fachwörter auch mal sein. Doch letzten Endes tun Sie ihr mit dem Fachchinesisch keinen Gefallen. Die meisten Menschen freuen sich, klare, verständliche Worte zu lesen.
Natürlich gibt es auch Fachbegriffe, um die Sie nicht herumkommen. In dem Fall lautet die Frage: Ist der Begriff Ihrer Zielgruppe bekannt oder müssen Sie ihn erklären?
Dort, wo Fachbegriffe sein müssen, sollten Sie verstärkt auf ein gut verständliches Umfeld achten: also wenig Nominalstil und Passiv und bitte keine Bandwurm- und Schachtelsätze. Auch häufen sollten Sie sie nicht. So steigt die Leserin nicht so schnell aus.
6. Wortballast
Als letzten Punkt habe ich noch den Wortballast auf meiner Liste. Sie glauben gar nicht, auf wie viele Wörter man verzichten kann.
- Muss es wirklich der „signifikante“ Unterschied sein oder reicht nicht der „Unterschied“?
- Muss man extra erwähnen, dass es sich um „unterstützende“ Tools handelt oder sind Tools nicht immer unterstützend?
- Ähnlich die „relevanten Vertragsdokumente“ – welche Vertragsdokumente wären denn irrelevant?
- Und wozu von den „aufgetretenen Verzögerungen“ sprechen – sagt nicht das Wort „Verzögerungen“ allein schon, dass sie aufgetreten sind?
Auch rhetorische Füllsel können Sie oftmals streichen.
- Hierbei ist davon auszugehen, dass …
- Grundsätzlich lässt sich zunächst sagen, dass …
Sagen Sie lieber direkt, was Sie sagen wollen.
Schauen Sie sich die Sätze also noch mal ganz genau an und streichen Sie jedes Wort, das nichts zum Verständnis beiträgt. Die Sätze werden dadurch lockerer und leichter.
Fazit: Das runde Ganze
Um sperrige Texte leserfreundlich aufzubereiten, sollten Sie also drei Schritte durchlaufen: Sich erstens über Zielgruppe und Ziel klar werden, zweitens die Kernaussagen herausarbeiten und drittens die Sätze von umständlichen Konstruktionen und Ballast befreien.
Den dritten Schritt dürfen Sie dabei natürlich nicht unabhängig von den ersten beiden betrachten. Wenn Sie einen Satz stilistisch überarbeiten, sollten Sie immer im Hinterkopf haben, was Sie eigentlich aussagen wollen. Jeder Satz muss sich am Ende in das große Ganze fügen.
Das Ziel: eine Botschaft, die klar und verständlich bei der Leserin ankommt – ohne dass sie danach das Gefühl hat, jetzt erst mal dringend einen Kaffee zu brauchen.
Tipp: In meinen Online-Workshop „Lebendig schreiben“ erfahren Sie noch mehr über lockeres, verständliches Schreiben und üben meine besten Stiltipps gleich an praktischen Beispielen.
Lesen Sie auch:
Drei Profi-Tipps, mit denen Sie komplizierte Sätze sofort leserfreundlicher machen
Die Kunst der Einfachheit: Wie Sie ein kompliziertes Angebot verständlich darstellen
Besser texten: Der Doppelpunkt als Stilmittel
Sehr geehrte Frau Lammer,
Ihre Ratschläge zum Schreibstil sprechen mir aus der Seele. Der Beitrag zum verständlichen Schreiben von Fachtexten inspiriert mich zu einer Übung in meinem Kurs zum wissenschaftlichen Schreiben. Ich werde Ihre Vorschläge von Studierenden, in der sie ihre Texte gegenseitig redigieren, ausprobieren lassen.
Ganz herzlichen Dank.
Mit freundlichen Grüßen
Thomas Appel
Guten Abend Herr Appel,
schön, dass der Beitrag Sie inspiriert hat. Viel Erfolg mit Ihren Studierenden.
Herzliche Grüße
Annika Lamer
Guten Tag, Frau Dr. Lamer,
Nehmen Sie sich eine Persona vor: Was will meine Leserin lesen, was interessiert sie? (Ich denke mir hier eine weibliche Leserin, bei Ihnen kann es natürlich ein männlicher Leser sein.)
Eine Leserin ist immer weiblich, ein Leser (in diesem Zusammenhang) immer männlich.
Vorschlag: Ich denke mir hier eine Leserin, bei Ihnen kann es natürlich ein Leser sein.
Persona: Ist das a bewusst verwendet oder ist es ein Tippfehler?
Herzliche Grüße
Wolfgang Möckel
Guten Abend Herr Möckel,
ich gebe Ihnen recht, das sollte auch so verständlich sein. Habe die Adjektive gestrichen,
Eine Persona ist in der Marketing-Fachsprache eine Zielgruppen-Person. Da haben wir’s wieder mit den Fachbegriffen …
Herzliche Grüße
Annika Lamer
Wieder wunderbar erklärt!
Vielen Dank dafür!!